Es gibt wieder was Neues!
Immer spannend, egal ob wie damals aus Perspektive des Herstellers oder jetzt als Berater: die offiziellen Analystenberichte. Wave, Magic Quadrant … ganz egal wie sie heißen: Schönheitswettbewerb und Standortbestimmung. Nur stelle ich mir über die Jahre mehr und mehr die Frage, inwieweit die Berichte der großen Analysten überhaupt noch einen Wert für den Leser haben.
Also, doch nicht so toll?
Gefühlt ist jegliche Kreativität tot und der Anspruch eine wirklich unabhängige und objektive Betrachtung verschiedener Technologien ist ganz offensichtlich einer rein finanziellen gewichen.
Wie kann ich mir ein solches Urteil erlauben? Mit der selben Begründung, mit der Gartner und Forrester gefühlt willkürlich Plätze vergeben. Ich habe selber Software vor Analysten präsentieren dürfen, ich kenne aber auch die Anforderungen echter Unternehmen. Das hat nicht immer viel miteinander zu tun. Schlimmer noch, Hersteller entwickeln plötzlich für eine gute Positionierung Features für ein einzige Präsentation, anstatt wirklich auf den Markt zu hören.
Und ja, das machen alle.
Ja, wirklich.
So richtig willkürlich ist die Platzierung im Magic Quadrant also gar nicht. Man sieht einfach nur sehr genau, wer ausreichend in die Beziehung mit den Analysten „investiert“. Und das ist ärgerlich. Im Fernsehen muss an solchen Stellen der Hinweis „unterstützt durch Produktplatzierungen“ stehen, hier wird aber die Stellung als unabhängiges Haus sehr strapaziert.
Was heißt das?
Keine Frage, das einige Anbieter besser sind als andere. Die Frage, die aber nicht wirklich beantwortet wird, ist wie dieses „besser“ definiert genau ist.
Was zeichnet einen Leader aus und was ein Nischenprodukt. Was ist überhaupt eine Nische in den Augen von Gartner und mit welcher Begründung kommt man in diese Schublade.
Die komplett verzerrte Betrachtung durch Gartner und Forrester sorgt so für ein völlig irreführendes Bild. Ein paar Beispiele zur Erläuterung.
Magic Quadrant ganz konkret
IBM ist laut Gartner ein Leader im Magic Quadrant for Digital Commerce. Keine Frage, IBM ist groß. Das IBM in den letzten Jahren de facto kaum in das eigentliche Produkt investiert hat, steht aber nirgends. Das digital Commerce nur einen relativ kleinen Teil des Gesamtportfolios ausmacht, was letztlich die strategische Bedeutung für IBM beschreibt, auch nicht. Das IBM nicht mal selber das eigene Produkt implementieren will und Jahr für Jahr lieber auf andere Technologien setzt, macht sie aber vielleicht wirklich zu einem Leader.
Was kann man zu Oracle sagen? Nicht viel, denn diese Technologie ist in Europa mehr oder weniger unbedeutend, was ganze 3 Ressourcen in Deutschland erklärt. Das man Experten bei Bedarf also für sehr teures Geld aus Nordamerika einfliegen lassen muss, kann man eben nicht als Schwäche werten, wenn man weiterhin eine gute Beziehung zu einem Sponsor haben möchte. Da ist es auch völlig unerheblich, dass man nur durch Einsatz vieler Einzelprodukte, die alle nicht so recht zusammenpassen, weil zusammengekauft und daraus resultierend hohen Implementierungskosten zu einem vernünftigen Ergebnis kommt. Selbst wenn Gartner an anderer Stelle selber sagt:
Oracle products don’t really work well together. Oracle’s sales force is extremely aggressive about pushing a suite of products, but has much fewer integration points than SAP. In fact, integration is usually left entirely up to the customer. Oracle is also very reluctant to talk about product roadmaps for fear that future products will cannibalize existing ones. The company makes more than 90% of its profits through maintenance fees, and will do whatever it takes to keep those fees flowing in. Oracle is the most difficult vendor to deal with.http://www.businessinsider.com/what-microsoft-oracle-ibm-and-sap-dont-tell-customers-2011-11
Egal, Leader ist Leader.
In der Nische
Und völlig unabhängig davon, wie gut demandware ist, nach eigener Definition sind sie kein echter Leader im Magic Quadrant, eher der visionärste Nischenspieler im Feld. Das Produkt ist eben so gut, weil es mit nur einem Betriebs- und Lizenzierungsmodell auf einen ganz klar umrissenen Markt abzielt, der kein unnötig breites Funktionssortiment verlangt.
An der Stelle sei darauf hingewiesen, dass ich längere Zeit bei Intershop gearbeitet habe, ich hier auch eine persönliche Meinung habe.
Das dem Nischen-Player Intershop – neben allen wirklichen Schwächen – in einem Jahr vorgeworfen wird, einen zu großen Fokus auf eigene Projekte zu haben, nur um im nächsten Bericht zu bemerken, dass man nun durch den erfolgten Fokus auf Produktentwicklung nun von Partnern für die Implementierung abhängig ist, ist einfach nur lachhaft. Eine skalierbare und bewährte Plattform, die sich gut integrieren lässt, ist eben nur Nische. Wer will denn schon so etwas, außer den 500 Unternehmen, die es bereits einsetzen?
Sind also die Visionäre des Magic Quadrant wirklich so visionär, wie Gartner es selbst verlangt? Disruptiv (was für ein hohles Wort in diesem Kontext) sind sie gefühlt schon einmal nicht. Naja, vielleicht sind es aber langfristig interessante Sponsoren.
Traurig ist auch, dass es bei der Bewertung mittlerweile so wenig Fantasie gibt, dass die 3 Großen IBM, SAP und Oracle im Magic Quadrant nur noch um einen virtuellen Punkt rotieren. Einfach alles im Uhrzeigersinn um 120 Grad. Der Visionärste der letzten Studie ist jetzt auf dem imaginär 3. Platz, dafür darf der letzte 3. nun bis zum nächsten Mal der Umsetzungsstärkste sein. Zumindest das hat ein wenig Unterhaltungswert.
Und nun?
Ich meine, man sollte den Quadranten eine ehrlich Bezeichnung geben. Visionär, Nische, Leader, Challenger … alles Bullshit. Lieber so wie bei Konferenzen. Da wird ja auch klar ausgezeichnet, wofür die Hersteller bezahlen. Logo ganz oben als Platin-Sponsor, kleines Logo unten in der Liste als Aussteller. Aber so wäre es ja nicht mehr ein Magic Quadrant.
Ich weiß aber auch, wie wichtig solche Berichte sind. Als Entscheider will man nur ungern schlechte Entscheidungen treffen. Oder schlimmer noch, dafür verantwortlich gemacht werden. Man kann auch nur schwerlich alle potentiellen Lösungen wirklich ernsthaft testen. Daher folgende Tipps:
- Nicht nur auf einen Analysten verlassen, es gibt genügend Quellen, die man zu Rate ziehen kann.
- Den regionalen Fokus nicht unterschätzen. Gartner und Forrester klingen toll und groß. Die kennen aber auch nur Amerika und ignorieren, was in Europa passiert.
- Mit echten Anwendern reden. Auch mal mit denen, die nicht immer wieder vom Hersteller als Referenz angeführt werden.
- Mit Agenturen reden. Die haben üblicherweise auch eine Abhängigkeit, aber oftmals keine exklusive.
- Genau überlegen, was für die eigene Situation wichtig ist, da die Betrachtung der Analysten völlig unpassend sein kann.
- Anbieter am besten in einem zeitlich begrenzten Proof-of-Concept antreten lassen. Einfacher kann man nicht sehen, wie sich die Arbeit mit dem Produkt wirklich anfühlt.
- Die präsentierten Features sind in aller Regel perfekt geskriptet und einstudiert. Mal vom Pfad weggehen und nachfragen, bis man wirklich gesehen hat, was man sehen will. Ja sagen nämlich erst einmal alle, auch beim Nachfragen. Nur zeigen können eben nicht alle.